General Paul Tibbets.    
Columbus, Ohio, 20. Februar 1985.

Paul Tibbets kommandierte die 509. Composite Group der Air Force, zu deren Aufgaben der Abwurf der ersten amerikanischen Atombomben gehörte. Tibbets selbst steuerte die Enola Gay, den B-29 Bomber, der den Angriff auf Hiroshima flog.

    "Ich würde gerne glauben, dass Atomwaffen nie mehr eingesetzt werden, aber so naiv bin ich nicht. Ich denke, wir werden sie einsetzen, einfach weil wir sie haben. Die Frage ist, wie man sie einsetzen soll".

 

General Paul Tibbets -
Columbus, Ohio, 25. Februar 1985

   Ich wurde im September 1944 davon in Kenntnis gesetzt, dass die Vereinigten Staaten die Atombombe entwickelten. Meine Aufgabe war es, eine Air-ForceEinheit aufzustellen und für den Abwurf der neuen Waffe auszubilden. Nur wenige wussten, dass es in der Direktive auch hiess, wir sollten für gleichzeitige Abwürfe in Europa und Japan vorbereitet sein. Das war damals mit der Formulierung »split operation« gemeint.

   Der Plan sah vor, Atombomben genau zur gleichen Zeit gegen Deutschland und Japan einzusetzen?

   Das ist richtig.

   Obwohl es nur zwei Bomben gab?

   Zu dem Zeitpunkt, von dem wir sprechen, hatten wir noch gar keine. Die Produktion fing gerade erst an. Wieviele Waffen zur Verfügung stehen würden, darauf hatte ich keinen Einfluss. Mein Job war es, eine Einheit aufzustellen und auszubilden. Ich hatte auch mit den Wissenschaftlern in Los Alamos zu tun, um herauszufinden: Was haben wir? Wie sieht es aus? Wo soll es hin? Was machen wir damit? Ich habe zehneinhalb Monate mit diesen Leuten zusammengearbeitet, um die Waffe in eine Form zu kriegen, in der sie mit berechenbarer Treffgenauigkeit aus einem in neuntausend Meter Höhe fliegenden Bomber abgeworfen werden konnte.

   Ist das gemeint mit der Redewendung »die Bombe mit dem Flugzeug verheiraten«?

   Ja, so nannten wir es.

   Was genau war dazu alles nötig?

   Zunächst mal musste die Bombe eine aerodynamische Form haben und die richtigen Abmessungen, damit sie in unseren Bombenschacht passte Ausserdem mussten wir batteriebetriebene Heizgeräte rings um die Bombe haben, damit der Zündmechanismus nicht einfror. Das nächste Problem war -
    wir hatten da drin eine Waffe mit kritischem Material, und das mussten wir während des Flugs mit Instrumenten überwachen, um sicherzugehen, dass es nicht aktiv wurde.

   Mussten Sie als Pilot des Flugzeugs, das diese Bombe abwerfen sollte, irgendwelche aussergewöhnlichen Dinge lernen?

   Wir waren es damals nicht gewöhnt, mit unseren Bombern in einer Höhe von neuntausend Metern zu fliegen. Für den Bombenabwurf brachte das ein neues Problem mit sich, wegen der Höhenwinde oder »ballistischen Winde«, wie man sie nennt. Wir wussten auch, das wir bei so einer Waffe, nachdem wir sie ausgeklinkt hatten, nicht einfach weiterfliegen konnten, wie wir es damals in Europa und über dem Pazifik taten. Über die Explosion dieser Bombe konnte man unmöglich drüberfliegen und überleben.

   Es stellte sich also die Frage: Wie kommt man davon weg, nachdem man sie abgeworfen hat? Die einzige Lösung ist, man muss kehrtmachen - und das ist fliegerisch ein weiteres Problem in einer solchen Höhe. Man hatte nur fünfzig Sekunden, um die Kehre auszuführen, denn solange brauchte die Bombe für ihren freien Fall bis zur Explosion, und mit der Explosion würde dann die Druckwelle und alles weitere kommen.

   Und diese Kehre in fünfzig Sekunden zufliegen, das war das Aussergewöhnlichste?

   Absolut. Alles andere war nur Fliegen, Navigieren und Bombenabwurf.

   Das Flugzeug hiess Enola Gay, und es ist allgemein bekannt, dass das der Name Ihrer Mutter war. Zu welchem Zeitpunkt haben Sie das Flugzeug nach Ihrer Mutter benannt?

   Ich habe den Namen aufmalen lassen am Nachmittag vor unserem Start, der am folgenden Morgen um 2 Uhr erfolgte.

   Haben Sie vorher mit Ihrer Mutter darüber gesprochen?

   Nein, nein. Ich konnte ihr selbstverständlich nichts davon sagen, und ich fand es eigentlich auch gar nicht notwendig.

   Wie empfand sie es, dass sie als Folge Ihrer Entscheidung gewissermassen in die Geschichte einging?

   Nun, als ich dann wieder nach Hause konnte, sagte mir mein Vater - er nannte sie immer »das alte Mädchen« - er sagte:
    »Du hättest mal sehen sollen, wie das alte Mädchen gestrahlt hat, als sie sagten, dass das Flugzeug die Enola Gay war.«
    General, ich hörte, dass Sie derjenige waren, der das Codewort nach Washington durchgab, das die Entscheidung überden Zeitpunkt des Bombenabwurfs ins Rollen brachte. Können Sie erläutern, wie es dazu kam, dass Ihnen diese Rollt, zufiel?

   Wir hatten im September 1944 mit der Ausbildung begonnen. Bis 1. April 1945 hatte ich eine Einheit beisammen, die hart gedrillt worden war und einen guten Ausbildungsstand hatte. Ich betrachtete die Situation wie ein Football-Trainer, der weiss, dass zuviel Training unter Umständen mehr Probleme schafft, als man sich vorstellen kann. Die Frage war also jetzt: Wie zuverlässig war die Bombe?

Ich wandte mich an Dr. Oppenheimer und sagte:
    »Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass die Bombe nicht losgeht?«
Er sagte: »Ich weiss es eigentlich nicht, aber ich rechne damit, dass diese Wahrscheinlichkeit eins zu einer Million betragen wird.«
    »Eins zu einer Million!« sagte ich. »Das ist ja fantastisch. Und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit im Augenblick? Ich muss es wirklich wissen.«
    Er sagte: »Also wenn Sie es wissen müssen -- ich bin überzeugt, dass wir im Augenblick bei eins zu zehntausend liegen.«
    Ich sagte: »Eins zu zehntausend ist mir jederzeit gut genug.«

   Ich hatte die Befürchtung, dass wir nie da rüber kämen und die Bombe ihrem eigentlichen Zweck zuführen könnten, nämlich den Krieg zu beenden. Nun war es damals so, dass eine für den Einsatz in Übersee ausgebildete Einheit inspiziert werden musste. Das machte entweder die Air-Force-Führung oder eine übergeordnete Befehlsstelle.

   Aber die höhere Kommando-Ebene wusste in diesem Fall gar nicht, was wir taten, und mir war gesagt worden, dass wir es völlig selbständig durchzuführen hatten. Sie gaben mir ein Codewort, an das ich mich heute nicht mehr erinnere, und das sollte ich nach Washington durchgehen, wenn ich soweit war.

   Ich habe das Codewort völlig selbständig und nach eigenem Ermessen nach Washington durchgegeben, weil ich die Einheit da rüber auf den pazifischen Kriegsschauplatz bringen wollte.

   Man hört so viel von dem Training der Crew für Hiroshima. Was ist mit der Crew für Nagasaki?

   Ich hatte vierzehn Flugzeugbesatzungen. Und ich machte mit jeder dieselbe Ausbildung. Es war alles eine Einheit, und ich war Kommandeur dieser Einheit. Es nannte sich die 509th Composite Group.

   Zu welchem Zeitpunkt wurde klar, dass Sie zwei Bomben hatten, und nicht eine oder drei?

   Nun, ich will es mal so sagen: Es gab drei Bomben, die einsatzbereit waren. Eine auf der Insel, eine unterwegs zur Insel und eine in Wendover.
    Wie lange es bis zu einer vierten gedauert hätte, kann ich nicht sagen, aber allzu lange wohl nicht.

   Jedenfalls, drei gab es, und sie waren einsatzbereit.

   Ich dachte immer, es wären nur zwei gewesen ...

   Es waren drei.

Und als Japan nach der Bombe auf Nagasaki nicht kapitulierte, funkte ich ein Codewort nach Wendover, Utah, und denen ihre Bombe wurde in ein Flugzeug geladen, das in Richtung Pazifik startete, aber es konnte auf dem Stützpunkt Moffat Field schon wieder landen,
denn der Krieg war vorbei.

   Zu welchem Typ gehörte die dritte Bombe?

Es war derselbe Typ wie die Nagasaki-Bombe.

   Können Sie schildern, was geschah, als Sie die Hiroshima-Bombe abwarfen?

   Also beim Anflug auf das Ziel war ich eigentlich ganz mit dem Navigieren beschäftigt und mit der stabilen Lage des Flugzeugs, damit wir eine sogenannte »Bombardier-Plattform« bekamen. Ich wollte, dass es absolut ruhig und waagerecht liegt.
    Und so ging es dann auch, und wir behielten es beim ganzen Zielanflug bei. Aus einer Entfernung von 110 Kilometern konnten wir die Stadt sehen. Und während wir näherkamen, hatten wir bestimmte Prozeduren zu erledigen. Es ging in dieser Situation um Zielerfassung und -bestätigung.

   Als erstes - wenn der Bombenschütze sagt:
   »Ich sehe die Stadt«,
dann verlangt die Vorschrift, dass der Navigator von seinem Platz aufsteht, zu ihm hingeht, ihm über die Schulter schaut und sagt:
    »Yeah, ich bestätige das. Das ist - das ist Hiroshima.«

   Als nächstes, wenn wir sehr nahe heran sind, sagt der Bombenschütze:
   »Ich habe den Zielpunkt«,
was heisst, dass er das Fadenkreuz des Norden-Visiergeräts auf dem Zielpunkt hat, und dann muss der Navigator herkommen und durchschauen und sagen:
    »Ja, ich bestätige, das ist der zugewiesene Zielpunkt.«

   Ich selbst schaute den beiden die ganze Zeit über die Schulter, und da ich mir die Stadt anhand von Luftaufnahmen eingeprägt hatte, konnte ich ihnen nur zustimmen, denn wir hatten absolut freie Sicht, und es war so klar wie auf einem Foto.

   Beim Endanflug mussten nun noch einige letzte Dinge geschehen. Wir mussten für die beiden B-29, die uns begleiteten, einen Ton aussenden, damit sie wussten, dass bis zum Ausklinken der Bombe nur noch eine Minute vergehen würde.
    Dieser Ton verstummte in dem Augenblick, wenn die Bombe das Flugzeug verliess. Das war das Signal für die beiden, ihre Instrumente abzuwerfen und die Kehre einzuleiten, von der ich vorhin sprach.

   Was für Instrumente warfen sie ab?

   Das waren Geräte, die die Explosion aufzeichnen sollten. Sie waren mit batteriebetriebenen Funkgeräten gekoppelt, und damit wurden die Informationen an die Empfangsgeräte im Flugzeug gesendet.

    Wurde die Bombe an einem Fallschirm abge worfen, oder fiel sie einfach herunter?

   Sie fiel. Die Aufzeichnungsgeräte hingen an Fallschirmen.

   Wie war es, als die Bombe explodierte? Was haben Sie da erlebt?

   

   Tja, so seltsam es klingen mag - gar nichts.
Wir hatten die Explosion im Rücken, und das Flugzeug hatte nicht viele Fenster. Als die Bombe explodierte, konnte ich trotz des hellen Sonnenscheins diesen silbrigen Lichtblitz sehen. Es war so etwas wie ein bläulich-silbernes Blitzen.

   Na schön, das ist etwas, was man sonst normalerweise nicht sieht. Und das nächste, was ich jedem erzählte, ist, dass ich es zu schmecken bekam.
    Und sie sagen: Nanu, wie das denn?
Und ich sage: Also, vor Jahren, als ich noch ein junger Bursche war, bekam man beim Zahnarzt noch eine Füllung aus Silber und Blei, und wenn man da aus Versehen mit der Gabel oder einem Löffel dranstiess, spürte man einen kurzen Schmerz. Man nennt es gemeinhin Elektrolyse. Und genau das ist geschehen. Es war nur ein momentanes Zucken, und dann war es wieder vorbei.
Da wusste ich, dass die Bombe explodiert war.

   Etwa zu diesem Zeitpunkt, als ich das spürte, sass hinten mein Heckschütze und hielt Ausschau nach der Druckwelle. Er trug eine Schweisserbrille, damit er von dem Lichtblitz nicht geblendet wurde. Und er sagte:    »Da kommt sie.«

   Er konnte sie hochkommen sehen, wie eine Fata Morgana in der Wüste. Wunderschöne, sich kreisförmig ausbreitende Wellen, die bis herauf zum Flugzeug kamen.
   Die erste traf uns mit einer Wucht von zweieinhalb g. Es war kein angsterregender, dramatischer Stoss, aber es erregte eindeutig unsere Aufmerksamkeit. Die zweite Welle war wesentlich schwächer, und die dritte war nicht mehr sehr zu spüren.

   Und haben Sie auch die Explosionswolke gesehen?

   Als die Bombe explodierte, lag ich noch in der Kurve, und ich steuerte das Flugzeug so, dass wir wieder zurückkamen, denn wir hatten Fotoapparate dabei, und unsere Anweisung lautete, so viele Aufnahmen wie möglich zu machen. Jeder nahm also seinen Fotoapparat und fing an zu knipsen.
    Wir waren im wesentlichen auf einem westlichen Kurs angeflogen, und als wir aus der Kehre herauskamen, flog ich in südwestlicher Richtung. Ich kam also links an der Pilzwolke vorbei, die sich hochtürmte. Als ich mich umdrehte und sie anschauen konnte, war sie schon höher als wir. Und wir flogen immer noch in einer Höhe von etwa 8700 Metern.

Die Wolke rollte, wallte und kochte, und es war offensichtlich, dass eine unerhörte Menge Energie in dieser Wolke enthalten war.

   Welche Farbe hatte sie?

   Nun ja, ein schmutziges Grau. Besser kann ich es Ihnen nicht beschreiben. Und sie hatte nicht die klassische Pilzform. Sie war irgendwie langgezogen. Haben Sie mal einen Fallschirm gesehen, der sich nicht öffnete - einen »Straggler«, wie wir es nennen?
    So sah sie aus.

   Und zu welchem Zeitpunkt haben Sie begonnen, diese Mission aus der Sicht der Menschen unten auf der Erde zu sehen? Haben Sie je empfunden, dass das Ausmass an Leiden alles überstieg was Menschen je zuvor in einem Krieg zugestossen war?
    Oder war es für Sie nicht viel anders als sonstige Bombenangriffe - etwas, das in einem Krieg eben vorkommt?

   Ja, ich denke, damit kommen Sie meiner Auffassung im wesentlichen schon nahe. Wir hatten einen berühmten alten Südstaaten-General, der sagte:
    »Krieg ist die Hölle.« Sherman.

Und dem kann ich nur zustimmen. Es ist so.

   Als ich Bomben in Europa abwarf, Flugzeugbomben, gegen die Deutschen undsoweiter,
da wusste ich, dass Menschen da unten zu Schaden kommen, und als mir bewusst wurde, dass ich an das dachte, was den Menschen zustiess, da sagte ich mir:
    »Du musst aufhören, daran zu denken. Du kannst nicht effektiv sein, wenn du dir Gedanken machst, wer da unten alles getroffen wird. Du hast ein Ziel zu vernichten. So heisst das Spiel: Das Ziel vernichten.«

   Und auf Grund dessen, muss ich sagen, habe ich mich nie damit aufgehalten. Sicher, ich wusste, dass es schreckliche Verluste an Menschenleben gegeben hatte. Ich wusste, dass da allerhand Zerstörung stattfand. Aber noch einmal -
   ich sah es objektiv, nicht auf mich bezogen.

   Sie sagen, das Spiel habe geheissen: Das Ziel vernichten. Was war das Ziel in Hiroshima?

   Die Stadt war das Ziel. Fertig, aus.
Wir nahmen an, dass wir den grössten Teil der Stadt ausradieren würden. Das stand so ziemlich fest.
Aber der Zielpunkt, das war eine Brücke neben einem japanischen Tempel. Fragen Sie mich nicht, wie der Tempel oder die Brücke hiessen, aber es war eine eindeutige geographische Markierung, die nicht zu verfehlen war.

   Und wie zielgenau war der Abwurf?

   Ich würde sagen, wir lagen ziemlich genau im Ziel. Die Abweichung vom Zielpunkt betrug weniger als 180 Meter.

   Lassen Sie mich abschliessend fragen, Mr. Tibbets: Was ist für Sie aus heutiger Sicht die Lektion oder das Vermächtnis von Hiroshima?

   Die Waffen, die wir heute haben, lassen die von damals wie kleine Knallfrösche aussehen.

Es ist richtig, dass wir einige Waffen haben, über die wir uns ernste Gedanken machen müssen. Und ich bin auf keinen Fall für einen Krieg.

   Ich würde gerne glauben, dass Atomwaffen nie mehr eingesetzt werden, aber so naiv bin ich nicht. Ich denke, wir werden sie einsetzen, einfach weil wir sie haben.
   Die Frage ist, wie man sie einsetzen soll.

   

 

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