Russel B. Clanahan.    
Washington, D.C., 27. Oktober 1982.

Russel B. Clanahan, Pressereferent der Federal Emergency Management Agency, zeigt den Evakuierungsplan für eines von insgesamt 408 Ballungsgebieten in den USA.

     "Dies ist der Evakuierungsplan für einen Notfall. Es geht darum Menschen aus einer gefärdeten Zone rechtzeitig vor einer Atomexplosion in sicheres Gebiet zu bringen, wo nicht mehr Schutz vor Druck- und Hitzewelle nötig ist, sondern nur noch vor radioaktivem Niederschlag. Das ist etwas, was mit den verfügbaren technischen und sonstigen Mitteln geleistet werdn kann. Und der Schutz, den man damit erreichen könnte, wäre beträchtlich".

 

Russel B. Clanahan,
Washington, D. C., 19. Mai 1982

   Also ich bin Russel Clanahan, und ich bin Pressereferent bei der Federal Emergency Management Agency, die auf nationaler Ebene zuständig ist für das Zivilschutzprogramm der Vereinigten Staaten. Ich bin seit 1955 im Zivilschutz tätig.

   Dann sind Sie also bestens qualifiziert um eine Vergleich anzustellen zwischen der heutigen Angst vor einem Atomkrieg und den Ängsten, wie sie in den sechziger Jahren hochkamen.

   Den Höhepunkt der Besorgnisse und Aktivitäten im Zusammenhang mit Zivilschutz, auf die Sie anspielen, hatten wir 1961 und 1962 bei der Berlinkrise und der Kubakrise. 1961 setzte Präsident Kennedy das Nationale Zivilschutzprogramm in Kraft, bei dem es um die Designierung von Schutzräumen ging.

In den Vereinigten Staaten äussert sich das im wesentlichen in zahlreichen schwarzgelben Schildern. Bis heute sind ungefähr 90 000 solcher Schutzräume durch schwarzgelbe Schilder ausgewiesen.
   Wenn die Initiative von Präsident Reagan Gesetz wird, würden wir sämtliche geeigneten Schutzräume markieren, von deren Existenz wir wissen. Das wären insgesamt 345 000, und die würden Schutz bieten für etwa 240 Millionen Menschen.

   Was ist die durchschnittliche Kapazität dieser Räume?

   Sie müssen mindestens fünfzig Menschen Platz bieten, bevor sie als öffentliche Schutzräume gelten können. Ferner müssen sie gegen radioaktiven Niederschlag einen Schutzfaktor von 40 bieten, d. h. die Menschen in dem Schutzraum dürfen nur einem Vierzigstel der Strahlung ausgesetzt sein, die draussen im Freien herrscht.

   Welche Dosis kann ein Mensch nach Ansicht Ihrer Behörde: noch verkraften?

    Bei 450 röntgen stirbt normalerweise die Hälfte der Betroffenen. Bei 600 röntgen sterben die meisten.

   Gut, aber welche Belastung kann man unheschadet überstehen?

   Normalerweise, soweit ich mich entsinne, erholt man sich mit ziemlicher Sicherheit von allem, was unter 100 oder 150 röntgen liegt.

   Was sind die neuesten Strategien im Zivilschutz, und worin unterscheiden sie sich von dem, was man in den sechziger Jahren auf die Beine gestellt hat?

   Als wir 1961 das nationale Programm für öffentliche Schutzräume bekamen, gab es damit ein grosses Problem: Sie schützten nicht vor der Druckwelle. Drucksichere Schutzräume in den USA einzurichten, würde heissen, dass man vor der Notwendigkeit steht, zwei Drittel der Bevölkerung zu schützen. Das würde mindestens 100 Milliarden Dollar kosten. Wahrscheinlich noch mehr. Man hat es bis jetzt noch nicht durchkalkuliert, und wahrscheinlich ist auch für die Zukunft nicht daran zu denken.

   Was tut man also?

   Man entscheidet sich für das nächstbeste System zur Rettung von Leben, ein kosteneffektives System, das im Bereich unserer Möglichkeiten liegt. Das ist der Evakuierungsplan für Krisenfälle.
   Es geht darum, die Menschen aus den Gefahrenzonen rechtzeitig vor einer Atomexplosion in sichere Gebiete zu bringen, wo nicht mehr Schutz vor Druck- und Hitzewelle nötig ist, sondern nur noch vor radioaktivem Niederschlag. Das ist etwas, was mit den verfügbaren technischen und sonstigen Mitteln geleistet werden kann. Und der Schutz, den man damit erreichen könnte, wäre beträchtlich.

   Brauchen Sie nicht eine gewisse Vorlaufzeit, damit dieser Plan funktioniert?

   Ja, wir gehen von einer strategischen Warnung aus, damit wir den Plan durchführen können.

   Wieviel Vorlaufzeit brauchen Sie?

   Bei kleineren Städten können es 24 bis 48 Stunden sein. Bei den meisten Städten müssten es wahrscheinlich 72 Stunden sein. Für Problemzonen wie New York oder Los Angeles könnte bis zu einer Woche nötig sein.

   Und was ist mit der Zeit, die eine Rakete von der Sowjetunion bis New York braucht?

Russel B. Clanahan

   Da vergleichen Sie jetzt aber Äpfel und Birnen. Niemand geht davon aus, dass man eine Evakuierung durchführen wird, wenn man weiss, dass die Rakete schon unterwegs ist. In so einem Fall kann man nur noch den nächsten Schutzraum aufsuchen und das Beste hoffen. Eben darum haben wir ja den Evakuierungsplan für Krisenfälle - damit wir rechtzeitig etwas unternehmen können.

   Wie kommen Sie darauf; dass uns die Sowjets vorher Bescheid sagen?

   Wir wissen, wie das Zivilschutzsystem der Sowjets aussieht. Sie haben drucksichere Schutzräume für etwa 25% der Bevölkerung, aber rund 75`% ihrer städtischen Bevölkerung müssten evakuiert werden. Und es wäre unmöglich, eine derartige Massenevakuierung vor unseren Satelliten zu verbergen.

   Angenommen, wir würden in diesem Augenblick erfahren, dass die Sowjets ihre Städte evakuieren - wären wir in der Lage, dasselbe zu tun?

Mit einem Teil der Systeme sind wir soweit; aber es bleibt uns noch eine ganze Menge zu tun.

   Ich frage mich, was Sie Leuten sagen, die bezüglich der Möglichkeiten des Zivilschutzes in einem Atomkrieg eine resignierte und zynische Haltung einnehmen und das Ganze als Witz bezeichnen.

   Lassen Sie mich dazu bitte ein wenig ausholen. Zunächst mal vertreten manche die Ansicht, dass die Existenz eines Zivilschutzes den Atomkrieg sogar noch wahrscheinlicher macht. Nun, wir vom Zivilschutz sind so wenig für einen Atomkrieg wie sonst jemand. Ich habe noch nie einen getroffen, der für einen Atomkrieg ist.

Es wäre das Schlimmste, was unserer Gesellschaft oder überhaupt jeder Gesellschaft zustossen könnte. Und ich teile die Auffassung, dass die Versorgung einer riesigen Zahl von Opfern ein horrendes Problem darstellt, das unsere medizinischen Möglichkeiten übersteigen würde. Doch ich meine, dass Zivilschutz auch in der existierenden eingeschränkten Form von vitaler Bedeutung sein kann.

   Wenn alle Abschreckung versagt und es zu einem nuklearen Angriff kommt, könnte man -zig Millionen Menschen schon dadurch retten, dass man sie vorher auf Evakuierungsgebiete verteilt, wo sie ein viel weniger einladendes Ziel bieten und eine Gefährdung nur noch vom radioaktiven Niederschlag ausgeht, nicht von Hitze- und Druckwelle. Ich meine, das ist der Staat seinen Menschen schuldig. Und ich denke, die meisten erwarten vom Staat, dass er zu ihrem Schutz das Mögliche tut, und sei es noch so unvollkommen.

   Niemand behauptet, dass Zivilschutz perfekt funktionieren wird.
Aber ich frage:
Was haben wir sonst für eine Wahl?

Militärische oder diplomatische Abschreckung könnte versagen. Verhandlungen könnten scheitern. Sollen wir da einfach resignieren und die Menschen in den Städten lassen, wo sie umkommen werden?

   Ich meine, ein unvollkommener Schutz, der -zig Millionen Menschen retten kann, die sonst verloren wären, ist besser als gar kein Schutz. Und das ist im wesentlichen der Ausgangspunkt für den Zivilschutz. Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass wir einen Schutz für alle bieten können.

   Aber es geht nicht um eine Situation des Alles-oder-Nichts. Es geht um relativen Schutz - relativ mehr oder relativ weniger Menschen zu retten. Gar keine Frage:
     Wenn wir in vernünftiger Weise, als ohne eine Demütigung der Nation hinzunehmen, einen Atomkrieg abwenden können, dann sollten wir es auch tun.

 

<