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Dr. Thomas Mancuso. 1965 erhielt Dr. Mancuso von der amerikanischen Regierung den Auftrag, in einer Langzeitstudie die Strahlenbelastung von mehr als 225 000 Beschäftigten in der amerikanischen Atomwaffenindustrie zu untersuchen. Nach fünfzehn Jahren kam Mancuso zu dem Ergebnis, dass das absorbieren von "niedriger" Strahlung das Krebsrisiko der Arbeiter deutlich erhöhte, und das die von der Industrie als unbedenklich erachteten Strahlengrenzwerte mindestens um das zehnfache zu hoch angesetzt waren. Als Mancuso seine Ergebnisse veröffentlichte, strich ihm die Regierung das Geld, kündigte seinen Vertrag und nahm seine Unterlagen unter Verschluss. "Ich meine, Strahlung ist das wichtigste Thema auf der Welt und wird es leider auch ewig bleiben; aber das Entscheidende ist, dass man sie ohne erhebliche Geldmittel von unabhängigen Institutionen nicht untersuchen kann".
Ich bin Arzt und habe eine Forschungsprofessur an der Graduate School of Public Health der Universität Pittsburgh. Ich bin hier seit 1962. Davor habe ich im Gesundheitsdienst von Ohio siebzehn Jahre die Abteilung für Arbeitsmedizin geleitet. In erster Linie habe ich berufsbedingte Krebserkrankungen untersucht. Ich habe epidemiologische Langzeitstudien konzipiert und durchgeführt, um in einer Vielzahl von Industriezweigen die Krebsgefahr zu untersuchen, die von Substanzen wic Chromat, Gummi, Asbest, Beryllium und Benzidin sowie von ionisierender Strahlung ausgeht. Ehe wir in die Einzelheiten gehen, möchte ich Sie gerne fragen, was unter Epidemiologie zu verstehen ist. Nun, Epidemiologie bezeichnet die Untersuchungsmethoden bei der Ermittlung von Krankheitsursachen in einer Bevölkerungsgruppe. Wann haben Sie damit begonnen, die Folgen von Strahlung zu untersuchen? Anfang 1964 hat mich die Abteilung Biologie und Medizin der Atomenergiekommission (AEC) um eine Studie gebeten, die klären sollte, ob die Möglichkeit besteht, eine landesweite Untersuchung der Strahlenbelastung von Beschäftigten in sämtlichen Anlagen der AEC durchzuführen. Ich prüfte die Situation in vierzehn AEC-Anlagen und kam zu dem Ergebnis, dass es möglich war, die erforderlichen Unterlagen zusammenzustellen, um zu einer Korrelation zwischen Sterblichkeitsrate und Strahlenbelastung der AEC-Beschäftigten zu gelangen. Den entsprechenden Forschungsauftrag bekam ich dann an der Universität Pittsburgh. Wenn Sie sagen - Beschärtigte in den Anlagen der AEC - sind damit die Bombenfabriken gemeint? Ja. Auf welche Anlagen erstreckte sich Ihre Untersuchung? Es wäre darum gegangen, sämtliche Anlagen der AEC zu untersuchen, aber die Geldmittel waren begrenzt. Ich begann mit den wichtigsten - Hanford, Oak Ridge, Los Alamos - und sammelte auch Strahlenbelastungsdaten von Beschäftigten in den Labors von Argonne, National Lead und Mound. Haben Sie die Reactive Metals, lncorporated, in Ashtabula einbezogen? Ja. Die Savannah-River-Anlage? Ja. Auch die Pantex Nuclear Weapons Final Assambly Plant? Ja. Pinellas? Ja. Livermore? Ja. Portsmouth? Bendix? Rocky Flats? Ja. Ich besorgte mir die Personalakten und begann mit der Untersuchung, aber ich kam nur bis zu einem gewissen Punkt Der Staat wollte nur bestimmte Dinge finanzieren. Wieviele Menschen erfasste lhre Untersuchung? Insgesamt müssen es 225 000 bis 250 000 gewesen sein. Die Gesamtzahl der Beschäftigten in den Anlagen der AEC lag bei mehr als 300 000. Aber als kein Geld mehr kam, musste ich mich bei der abschliessenden Analyse und Bewertung auf eine Anlage konzentrieren. Hanford war die einzige, bei der wir schon weit genug vorangekommen waren. Auf sie bezog sich also unsere Analyse. Ich weiss dass Sie arbeitsmedizinische Untersuchungen in zahlreichen Industriezweigen durchgeführt haben- aber hatten sie sich zu dem Zeitpunkt auch schon mit Strahlung befasst? Nein, nie. Ich glaube, sie wollten jemanden,
für den das Gebiet neu war. Zu mir kamen sie vor allem aus zwei Gründen:
Erstens hatte ich Erfahrung beim Ausarbeiten von epidemiologischen Studien;
zweitens hatte ich bei Langzeitstudien von Industriearbeitern als erster
die Unterlagen der Sozialversicherung herangezogen, was für die epidemiologische
Methodologie einen Durchbruch bedeutete. Das Grundproblem bei der Untersuchung
von Strahlenbelastung ist nämlich, dass die Folgen erst nach zwanzig
oder dreissig Jahren auftreten können. An dem Auftrag zur Untersuchung der Strahlenbelastung
war ungewöhnlich, dass die Arbeiter, die ich zu studieren hatte, nicht
krank waren. Mit Kranken haben sich schon Studien von anderen Forschern
befasst, doch dies war eine Langzeitstudie, deren Gegenstand gesunde
Arbeiter waren, die nach sehr strikten medizinischen Gesichtspunkten
eingestellt worden waren und eine erstklassige medizinische Versorgung
genossen. Was ist unter »interner Kontrolle« zu verstehen? Bei einer epidemiologischen Analyse wie dieser vergleicht man die Untersuchten gewöhnlich mit einer Kontrollgruppe aus der allgemeinen Bevölkerung. Was zu falschen Schlüssen führen kann. Wir dagegen verglichen die Arbeiter, die Krebs bekamen, mit den Arbeitern aus der untersuchten Beschäftigtengruppe, die keinen Krebs hatten. In der allgemeinen Bevölkerung hat man nämlich alle kranken, arbeitsunfähigen und in stationärer Behandlung befindlichen Personen mit dabei, während in der Arbeiterschaft mit ihrem besseren Gesundheitszustand die Sterblichkeitsrate 25 bis 35% niedriger ist als in der Gesamtbevölkerung. Das bedeutet also, dass die Industriearbeiter ein ernstes Gesundheitsproblem haben können, obwohl bei ihnen die Sterblichkeitsrate niedriger ist als bei der allgemeinen Bevölkerung? Eben! Genau so ist es. Und darum ist eine interne Kontrolle auch die beste. Also haben wir es so gemacht Ein Vergleich von Beschäftigten in derselben Anlage gilt als der beste und zuverlässigste Test bei der Bestimmung der Ursachen von gesundheitlichen Schäden.
Können Sie kurz den Umfang der Hanford-Studie schildern und ihren Stellenwert in bezug auf die grössere Untersuchung? Unsere generelle Untersuchung von Beschäftigten in
allen AEC-Anlagen war weltweit die grösste ihrer Art. Die erweiterte
Studie, wie wir sie empfohlen hatten, hätte am Ende mehr als 300 000
Beschäftigte erfasst Das unterschied unsere Studie sehr deutlich von
der Hiroshima/Nagasaki-Studie -- dort geht es um Schätzwerte, die aus
hohen Werten extrapoliert werden, um eine Rekonstruktion, die im übrigen
erst fünf Jahre nach Abwurf der beiden Atombomben begann. Als ich mit der generellen Untersuchung von Beschäftigten
in der Atomindustrie begann, stellte ich fest, dass man nur ihre jeweils
aktuellen Daten aufbewahrte und die zurückliegenden systematisch vernichtete.
Man erklärte mir, dies geschehe aus Platzgründen.
Als wir damit fertig waren, hatten wir ein elektronisches Datenverarbeitungssystem mit einheitlichen Informationen, die für ,jeden Beschäftigten einer jeden Anlage bis zum Tag seiner Einstellung zurückreichten. Damit war es nun möglich, für Gruppen von Arbeitern in Sekundenschnelle die komplette Chronologie ihrer Tätigkeiten und ihrer Strahlenbelastung zusammen mit allen dazugehörigen Daten abzurufen, während es zuvor sechs Monate gedauert hatte, die Daten eines einzigen zu rekonstruieren. Und wie sah das aus, als Sie sich die Hanford Belegschaft vornahmen? Ich will es mal so ausdrücken: Wollte man das ideale Experiment entwickeln, um die Wirkung von Nicdrigstrahlung auf Menschen zu ergründen, dann würde man es so machen. Ich will Menschen nicht mit Tieren gleichsetzen, aber wenn Sie es in Analogie zu vergleichbaren Tierexperimenten sehen, werden Sie verstehen, was ich meine. Man fängt mit Gesunden an, die sorgfältig ausgewählt
sind, und man weiss, dass sie keine medizinischen Probleme haben. Man
versetzt sie in ein geschlossenes Environment, wo sie einem bestimmten
Agens ausgesetzt sind in diesem Fall Strahlung - und man überwacht ihre
Gesundheit und die Strahlendosis und verfolgt dann ihren weiteren Lebensweg.
Wie lange haben Sie an der Hanford Studie gearbeitet? Ich brauchte rund vierzehn Jahre, um das Datensystem aufzubauen, unter Einbeziehung von Totenscheinen sowie den notwendigen Informationen der Sozialversicherung. Ich wusste, dass ich die lange Latenzperiode von Krebserkrankungen berücksichtigen musste. Man hat allerhand Druck auf mich ausgeübt, Zwischenergebnisse zu veröffentlichen. Aber dazu war ich nicht bereit. Und was haben Sie nach vierzehn Jahren festgestellt? Nun, es ergab sich, dass Niedrigstrahlung in der Tat zu Krebs führt. Das war ganz eindeutig. Und dass das Krebsrisiko zehn- bis zwanzigmal grösser ist, als man angenommen hatte. Das ist der Kern unserer Feststellung. Und das hat für Aufregung gesorgt. Es bedeutet, dass die sogenannten »sicheren« Grenzwerte
überhaupt nicht sicher sind. Wir wollten die Studie ausweiten und die
Daten von 115 000 Beschäftigten in Oak Ridge auswerten, und dann noch
die von vielen Tausenden mehr, in den anderen AEC-Anlagen. Und sie sagten ... Sie lehnten ab. Sie hatten ihre Gründe, aber diese Gründe lagen nicht im öffentlichen Interesse. Das Interesse der Öffentlichkeit hätte verlangt, dass wir weitermachen, denn aufgrund unserer Kenntnisse der Daten waren wir besser als sonst jemand in der Lage, das ganze Ausmass der gesundheitlichen Folgen von Strahlung zu ermitteln. An einem gewissen Punkt haben Sie Dr. Alice Stewart
aus England hinzugezogen. Ja. Sie hat in ihrer bahnbrechenden Oxford
Child Study die Krebsfolgen bei Kindern von Müttern festgestellt, die
während der Schwangerschaft geröntgt worden waren. Worin bestand der Beitrag von Dr. Stewart? Sie hat auf dem Gebiet der Strahlen Epidemiologie eine Erfahrung wie sonst niemand auf der Welt. Was sie einbrachte, war eine mehr als zwanzigjährige Erfahrung in der Beobachtung von Strahlenfolgen bei Kindern. Sie konnte ihr ärztliches und klinisches Grundwissen beitragen und ebenso ihre Erfahrung in der statistischen Auswertung von Strahlenbelastung bei Erwachsenen. Alice Stewart hat etwas, das schwer zu beschreiben ist -- sie ist so etwas wie ein Musiker, der ein besonders feines Gehör hat. Sie hat jene seltene Gabe medizinischer Intuition und Objektivität, die auf langjähriger Erfahrung beruht. Und sie hat unsere Daten sehr rigorosen Tests unterzogen.
Natürlich macht mich das wütend, denn es geht hier
nicht nur um ein moralisches Prinzip, sondern auch um ein wissenschaftliches.
Vom wissenschaftlichen Standpunkt ist es empörend, wie ich finde. Ich meine, dass hier eine politische Analogie gegeben ist, die bisher noch nicht zur Sprache kam; und zwar im Hinblick darauf, dass unsere Regierung die Strahlenfolgen von Hiroshima und Nagasaki heruntergespielt hat. Alice Stewart hat in ihrer Studie unabhängig von mir herausgefunden, dass sie das Strahlenrisiko in Japan erheblich unterschätzt hatten. In den Vereinigten Staaten ist es im Grunde so, dass staatliche Stellen aus politischen und ökonomischen Gründen die wissenschaftlichen Tatsachen abstreiten oder ihre Veröffentlichung zu verhindern suchen, damit sie den Veteranen der Atomtests keine Entschädigung zahlen müssen. In diesem Zusammenhang haben Regierungsvertreter auch stets eine sehr irreführende Linie verfolgt, indem sie sagen, die Veteranen der Atomtests seien nur niedriger Strahlung ausgesetzt gewesen. Das ist in Wirklichkeit ein Täuschungsmanöver. Denn die insgesamt absorbierte Dosis würde ja auch den gefährlichen radioaktiven Niederschlag einschliessen, der eingeatmet wird und in den Verdauungstrakt gelangt, womit es zu einer internen Strahlenquelle wird, die für zusätzliche Belastung sorgt. Ich meine, Strahlung ist das wichtigste Thema auf der Welt und wird es auch ewig bleiben, wegen der Tausende von nuklearen Sprengköpfen und Bomben und der permanenten Bedrohung der Zivilisation und der ganzen Erde. Leider haben wir ohne erhebliche Geldmittel von unabhängigen Institutionen keine Möglichkeit, die Studie weiterzuführen und das ganze Ausmass der Folgen bekannt zu machen und unabhängige Finanzierung ist nirgends in Sicht. Nach meiner Erfahrung müsste Strahlenforschung unabhängig von staatlichem Einfluss sein. Ich habe die Pressionen zu spüren bekommen. Im Grunde will die Regierung nichts davon wissen
und auch sonst soll niemand davon erfahren, dass wir recht haben; denn
wenn wir recht haben, dann ist der ganze Nonsens von einem begrenzten
Atomkrieg, der angeblich sehr wenig Auswirkungen hat, nicht nur dumm,
sondern leider eine ganz reale Tragödie von riesigen Ausmassen. Meine
Güte, die Folgen des radioaktiven Niederschlags wären doch absolut verheerend.
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