Dr. Karl Z. Morgan, der erste Strahlenschutzbeauftragte. Dr. Morgan wurde vom Manhatten-Projekt als Leiter der Abteilung für Strahlenschutz am Oak Ridge National Laboratory verpflichtet. Er war zuständig für die Ermittlung der höchstzulässigen Strahlenbelastung des Personal, das die erste Atombombe baute. "Es gibt keine unbedenkliche Strahlendosis. Die Frage ist also nicht: Was ist ein sicherer Grenzwert? Die Frage ist: Wie gross ist das Risiko?"
Karl Ziegler Morgan leitete 29 Jahre lang die Abteilung für Strahlenschutz am Oak Ridge National Laboratory. Er ist Gründer und Präsident der Health Physics Society und amtierte als erster Präsident der International Radiation Protection Association. Er war 25 Jahre lang Herausgeber des Health Physics Journal, und seit mehr als vierzig Jahren ist er tätig in Komitees und Aussschüssen, die sich mit den Auswirkungen von Strahlung auf Menschen und Tiere befassen. Er hat Hunderte von Artikeln über Strahlen- schutz veröffentlicht und wird bei Gerichtsverfahren oft als Sachverständiger für Fragen der Strahlengefährdung hinzugezogen.
Dr. Karl Z. Morgan Bevor ich im Strahlenschutz tätig wurde, war mein
Fachgebiet kosmische Strahlung. Ich promovierte an der Duke University
mit einer Arbeit über kosmi- sche Strahlung und führte Strahlenmes-
sungen in Höhlen und Bergwerken durch. Im Rahmen dieser Untersuchun-
gen arbeitete ich auch einen Sommer lang im Mount Evans Labor von Dr.
Arthur Compton, dem Physik- Nobelpreisträger aus Chicago. Soll das heissen, der Begriff existierte schon? Ich habe immer gehört, Sie wären der »Vater« des Strahlenschutzes. Nein, das ist es ja gerade. Ich wandte mich gleich
wieder zum Gehen und sagte: Und sie sagten:
Wer gehörte zu Ihrem Team? H. M. Parker, C. C. Gamusfelder und Jim Hart waren einige der ersten, die mit mir auf dem Gebiet des Strahlenschutz arbeiteten. Hinzu kamen Mediziner und Strahlenbiologen. Manchmal war es schwer zu sagen, was wir eigentlich waren - Strahlenbiologen, Mediziner oder Physiker. Wir arbeiteten alle sehr eng zusammen. Wie war das, an der Entwicklung der ersten Atombomben mitzuwirken? Wir arbeiteten damals sehr hart. Wi wussten, dass
Hahn, Strassmann und Meitner die Kernspaltung entdeckt hatten. Wie lange hielt sich diese falsche Auffassung? Ich würde sagen, bis zur Chalk Rivei Konferenz im November 1949 in Chall River, Kanada. Es war eine trilaterale Konferenz, mit Fachleuten aus Englarn USA und Kanada. Ich denke, zu dem Zeitpunkt war den meisten von uns bewusst, dass es einen sogenannten sichere Grenzwert nicht gibt. Das überrascht mich zu hören. Ich dachte immer, es hätte keine frühen Untersuchungen gegeben, die ein Gesundheitsrisiko bei Niedrigrtrahlung nachwiesen. Das trifft nicht zu. In diesen Labors führten sie an allerhand Tieren, aber auch an Pflanzen, umfangreiche Untersuchungen durch, um die Wirkung aller Arten von ionisierender Strahlung zu studieren. Sie untersuchten die Wirkung von Niedrigstrahlung, von Strahlung in hoher Dosierung und das Entstehen von bösartigen Geschwulsten. Manche von uns Teilnehmern an der Chalk River Konferenz kannten die Ergebnisse jener Hunderte von frühen Tierversuchen, und wir sahen keinen Grund - ich jedenfalls sah keinen -, warum man bei Menschen nicht dieselben Auswirkungen erwarten sollte, wie sie bei Ratten und Mäusen und Hunden aufgetreten waren. Was haben Sie da herausgefunden? Warum ist Niedrigstrahlung gefährlich? Es gibt keine unbedenkliche Strahlendosis. Denn es
hängt allein vom Zufall ab, ob ein Photon oder Alphateilchen oder Neutron
im Organismus einem Zellkern nahekommt, die Zelle schädigt und einige
Erbinformationen im Kern affiziert. Wenn also Strahlung durch den Organismus dringt,
schädigt sie bisweilen - wenn auch ganz selten - eine Zelle in der Weise,
dass diese im beschädigten Zustand überlebt. Diese geschädigten Zellen
kann man mit einer Bibliothek vergleichen, in die ein Verrückter eingedrungen
ist, der aus den Büchern wahllos Seiten herausgerissen hat. Was bedeutet in diesem Zusammenhang die »lineare Hypothese« in Bezug auf Strahlenwerte und die Krebserkrankungen, die sie verursachen können? Die lineare Hypothese besagt, dass man die Zahl der
Krebserkrankungen vorhersagen kann, die von einer gegebenen Menge absorbierter
Strahlung ausgelöst werden - wobei es keine Rolle spielt, ob Strahlung
in einem kurzen Zeitraum in hoher Dosierung absorbiert wird oder über
einen längeren Zeitraum in kleineren Mengen. Was bedeutet »tausend Personen-Rem? Das bezeichnet die Gesamtmenge absorbierter Strahlung,
die eine Krebserkrankung auslösen kann. Man nennt es »Personen-Rem«,
weil es sich auf mehrere Menschen verteilen kann. Nach der linearen
Hypothese macht es keinen Unterschied, ob tausend Menschen je ein Rem
abbekommen, oder fünfhundert Menschen jeweils zwei Rem - oder zehntausend
Menschen jeweils ein Zehntel Rem. Von Strahlung ausgelöste Leukämie ist schon innerhalb eines Jahres
beobachtet worden, obwohl die durchschnittliche Latenzperiode für Leukämie
acht bis zehn Jahre beträgt. Und bei festen Tumoren wie Brust-, Hirn-,
Knochenkrebs und Schilddrüsenkrebs beträgt die Latenzperiode etwa dreissig
Jahre. Im vergangenen Jahrzehnt haben manche von uns bei
Durchsicht der vorhandenen Literatur festgestellt, dass wir weitergehen
müssen: Statt der linearen Hypothese ist eine »supra-lineare« anzunehmen,
die den Daten besser gerecht wird. Ich sage damit nicht, dass bei niedrigen Strahlenwerten
mehr Krebse auftreten als bei hohen. Wird bei den 10 000 Menschen, die einer niedrigen Strahlung ausgesetzt waren, der Schaden grösser sein? Es sieht so aus, ja. Das wird jetzt zu einem ausgesprochenen Streitpunkt. Als wir mit diesen Diskussionen begannen, hielten uns viele für verrückt, weil sie sogar die lineare Hypothese noch für zu konservativ hielten.
Wenn sich die supralineare Hypothese als richtig erweist - was würde das heissen für die kommerzielle Atomindustrie und den Atomwaffenkomplex? Wenn sich beweisen lässt, dass der Schaden pro Dosis-Einheit
bei niedrigen Strahlenwerten grösser ist als bei hohen Werten, dann
ist gar keine Frage, dass die Auswirkungen von radioaktivem Niederschlag,
von Hantieren mit radioaktivem Material und sogar die Wirkung einer
geringen medizinischen Strahlenbelastung viel ernster sein werden, als
man bisher angenommen hat.
Können sie ein wenig auf Plutonium eingehen? Sie waren Sachverständiger im Fall Karen Silkwood, hahen dort über die Gefahren von Plutonium ausgesagt und dem Richter zu bedenken gegeben, Plutonium sei so hochgiftig, dass es keine Rolle spiele, wie es in Silkwoods Kühlschrank gelangt sei der Arbeitgeber habe in jedem Fall seine Fürsorgepflicht verletzt. Wie toxisch ist Plutonium? Ich war mehr als fünfundzwanzig Jahre aktives Mitglied der International Commission on Radiological Protection und des National Council on Radiation Protection, und während dieser Zeit führte ich in beiden Organisationen den Vorsitz des Internal Dose Committee. Ich machte die ersten Berechnungen bezüglich zulässiger Grenzwerte von Plutonium und sonstigen Radionukliden, als ich in Oak Ridge tätig war. Mein Komitee hat die Grenzwerte für alle Nuklide
festgesetzt, und diese Grenzwerte werden heute im wesentlichen unverändert
verwendet von der Nuclear Regulatory Commission, der Environmental Protection
Agency und anderen. Als zulässige Körperbelastung durch Plutonium-239
setzten wir 0,04 Millionstel Curie fest, d. h. 0.04 Mikro-Curie. Diesen
Wert sollte die Körperbelastung eines Beschäftigten nie überschreiten,
denn dann wird es gefährlich. Bei einer Besichtigung der Deponie von ChemNuclear
in Barnwell habe ich gestern Arbeiter beobachtet, die allerhand Kisten
und Kästen mit radioaktiven Materialien in riesige Lehmgruben schafften.
Ich hatte meinen eigenen Geigerzähler dabei, und sobald wir an den Rand
der Crube kamen, ergab sich ein Wert, der dreissig- und vierzigmal höher
als die natürliche Strahlung war. Der Mann hat Ihnen die Antwort gegeben, die zu erwarten
war - eine Gefahr ist nicht gegeben, also ist eine Gefahrenzulage nicht
nötig. Karl, es gibt in Amerika verschiedene Bevölkerungsgruppen,
die einem Strahlenrisiko ausgesetzt sind: Die Beschäftigten in den Atomanlagen,
die Arbeiter in der Abfallbeseitigung, die Fahrer der Transporte und
die Veteranen, die an den frühen Atomtests teilnahmen. Ich wünschte, ich könnte das mit ja beantworten. Ich habe Vertrauen in die Zukunft. Vorausgesetzt natürlich, dass wir einen Atomkrieg vermeiden können. Aber es dauert sehr lange, bis Menschen eine Lektion lernen und die Information tief genug eindringt, um eine Wirkung zu haben. Im Jahr 1500 wusste man, dass Arbeiter in den Kobaltminen von Böhmen und Sachsen an der sogenannten Grubenkrankheit starben. Und doch ist es noch nicht lange her, dass wir in Amerika viele Bergarbeiter unter Tage bei einer Radium- und Radonbelastung arbeiten liessen, dic genau so hoch oder noch höher war als in jenen Gruben vor vierhundert Jahren. Ich denke, es stehen uns noch viele traurige Lektionen bevor, ehe wir begreifen werden, was wir eigentlich heute schon wissen müssten.
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